Tatiana de Rosnay: Sarahs Schlüssel
Für alle, die nicht bereit sind, die Judenvernichtung 60 und mehr Jahre nach dem Krieg ad acta zu legen, ist „Sarahs Schlüssel“ ein beeindruckendes Buch, das nicht nur spannend erzählt, sondern auch gelungen komponiert ist.
Erzählerin der Geschichte ist die etwa 40jährige, amerikanisch-stämmige Journalistin Julia, die in Paris mit einem wunderbaren Mann verheiratet zu sein scheint. Dessen Großmutter ist ins Alterheim gekommen und die Familie plant die Modernisierung ihrer Wohnung, um selbst dort einzuziehen. Doch dabei stoßen sie auf die Geschichte von Sarah und ihrer Familie, die vor den Tézacs in der Wohnung gelebt hat. Bis 60 Jahre nach dem Krieg haben die alten Tézacs sich bemüht, ihre Geschichte zu verdrängen. Kein Wunder, möchte man fast sagen, denn der französische Präsident selbst konnte sich zu dem unrühmlichen Kapitel der Kinder aus dem Stadion Vél-d’ Hiv erst 1995 öffentlich äußern. Ende Juli 1942 trieben französische Polizisten, denen die jüdische Bevölkerung bis dahin noch vertraute, über 10000 Juden, vor allem Frauen und Kinder, im Vél-d’ Hiv zusammen, um sie dann in die Konzentrationslager zu deportieren. Keines der 6000 Kinder kehrte nach dem Krieg zurück. Die Zusammentreibung kam für die Familien völlig überraschend, denn bis dato waren eher die jüdischen Männer in Gefahr und hatten sich zum Teil bereits versteckt, Frauen und Kinder wurden in jener Nacht von der Aktion völlig überrascht. Die 10-jährige Sarah ahnt nicht, was auf sie zukommt, denn ihre Eltern haben nicht mit ihr über die Gefahren gesprochen. Doch weil sie ein ungutes Gefühl hat, fordert sie ihren kleinen Bruder auf, sich im Wandschrank zu verstecken. Sie schließt den gut getarnten Schrank ab, da sie annehmen kann, in wenigen Stunden wieder in der Wohnung zu sein. Diese „Schuld“ lässt das Kind nicht los. Sie kann nicht verstehen, warum ihre Eltern sich nicht gegen die Zusammentreibung wehren und Michel zu holen versuchen. So muss sie selbst die Flucht aus dem Lager wagen, um zu sehen, was aus Michel geworden ist. Sarah erlebt dabei die Ablehnung, die ihr die Franzosen entgegen bringen, aber auch heldenhafte Mitmenschlichkeit.
Nach und nach deckt Julia Sarahs Geschichte und die Geschichte ihrer Wohnung auf. Obwohl man in Frankreich bereits über diese dunklen Kapitel spricht, stößt sie auf unerwartet taube Ohren. Andererseits bringen sie ihre Recherchen auch erstmals ihrem Schwiegervater näher, der ebenfalls wissen möchte, was aus Sarah geworden ist.
Die Zuordnung des Lesealters scheint dem Berlin Verlag einige Schwierigkeiten bereitet zu haben. Die „12+“ ist durchaus für jugendliche Leser gerechtfertigt, die sich nicht zuletzt durch Anne Frank emotional von der deutschen Geschichte berühren lassen. Allerdings werden sie nicht die Eheprobleme verstehen, die die Erzählerin sich vor diesem Hintergrund entwickeln lässt. „Sarahs Schlüssel“ ist darum eher noch als für Jugendliche ein Buch für die Erwachsenen, die sich der Geschichte stellen wollen.