Jugendbuch

Robert Domes: Nebel im August: Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa

Ernst Lossa wurde 1929 als Kind fahrender Händler geboren. Für die Nazis waren sie einfach „Zigeuner“, obwohl die Familie Lossa sich als den „Jenischen“ und nicht den Zigeunern zugehörig fühlte. Mit knapp vier Jahren werden Ernst und seine ein- und zweijährige Schwester der schwindsüchtigen Mutter fortgenommen und in ein Erziehungsheim eingewiesen, der Vater versucht gerade wieder unterwegs Handel zu treiben, um die Familie zu ernähren. Was wie eine Unterstützung für die Familie aussieht, ist Ernst Beginn einer Reise von Anstalt zu Anstalt, deren Bedingungen sich nicht zuletzt durch den Krieg immer mehr verschlechtern. Anstatt Ernst zu erziehen, treibt ihn das Umfeld zum Stehlen. Doch was kann man in Erziehungsheimen und Irrenanstalten schon stehlen: mal etwas zu essen, dann Murmeln, Taschenmesser oder Schlüssel. Dafür wird Ernst als „unerziehbar“ und „Psychopath“ abgestempelt. Versuche ihn zu integrieren gibt es kaum. Einzig und allein in Kaufbeuren scheinen die Pfleger Max und Heichele eine gewisse Sympathie für den Jungen zu entwickeln. Doch zu sehr ist er schon abgestempelt. Ernst, dessen Mutter überzeugt war, er hätte „das zweite Gesicht“, spürt selbst, Kaufbeuren ist der „Ort der verlassenen Kinder“. Hier wird er nicht überleben. Auch die Sympathie von Max und Heichele können ihn nicht retten. Offiziell stirbt Ernst an einer Lungenentzündung.

Direkt nach dem Krieg werden die Verbrechen an psychisch Kranken untersucht und die Ärzte und Pfleger mit relativ geringen Strafen (1-4 Jahre) zur Verantwortung gezogen. Auch das Verbrechen an Ernst Lossa wird erstmals aktenkundig. Aber noch lange nach dem Krieg ändern sich die Einschätzungen und daraus resultierenden Zustände in psychiatrischen Anstalten nicht. Erst als in den 70iger Jahren die Wende der Psychiatrie einsetzt, arbeitet man noch einmal die aus der Nazi-Zeit stammenden Grundlagen durch. Um zu verstehen, was damals vorging, nahm man sich erneut die Einzelschicksale vor. Auch in dieser Zeit wurde um Ernst Lossa geforscht.

Aus diesen Grundlagen und eigenen Recherchen hat Robert Domes eine bewegende Biografie entwickelt. Er kann Ernst Lossa natürlich nur so nahe kommen, wie es Akten und Zeitzeugenaussagen zuließen. Und was kann über einen fremden „Zigeunerjungen“ von 15 Jahren schon detailiert dokumentiert sein? Robert Domes gelingt es unvoreingenommen zu schildern. Gerade das macht es möglich, dass der Leser Partei ergreift für einen Jungen, der es nicht leicht hat, es aber anderen auch nicht leicht macht. Erst zu Ernsts Ende verdichten sich die biografisch dokumentierten Angaben. So wirkt auch die Biografie zu Beginn stärker auf das Zeitgeschehen bezogen und zum Ende dramatisch auf Ernst Lossa zugespitzt. Doch vielleicht zeichnet sie gerade dadurch ein ebenso komplexes wie berührendes Bild von den Umständen unter denen Außenseitern Entwicklung genommen wurde. „Nebel im August“ wendet sich einem in der Aufarbeitung der Nazi-Zeit zu Unrecht oft vergessenen Bereich zu: der „Behandlung“ psychisch Kranker.